Interview mit Prof. Dr. Anastasia Khvorova – Preisträgerin des Else Kröner Fresenius Preises für Medizinische Forschung 2025

Die Else Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS) zeichnet mit dem Else Kröner Fresenius Preis für Medizinische Forschung Khvorovas bahnbrechende Arbeiten im Bereich RNA-basierter Therapien aus.
Anastasia Khvorova zusammen mit der Assistenzprofessorin für RNA-Therapeutika Julia Alterman und MD/PhD-Studentin Katherine Gross

Liebe Frau Professor Khvorova, herzlichen Glückwunsch zum Else Kröner Fresenius Preis für Medizinische Forschung 2025. RNA-basierte Therapien haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Was für Forschungsergebnisse konnten Sie auf diesem Gebiet erzielen? 

Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit der Synthese und Optimierung chemischer Stoffe sowie mit RNA-Interferenz (1). Zusammen mit Phillip Zamore (Chair & Professor at the RNA Therapeutics Institute at UMass Chan Medical School), haben wir mitentdeckt, wie genau siRNA (2) mit einem bestimmten Enzymkomplex interagiert, der für RNA-Interferenz von zentraler Bedeutung ist. Diese Abläufe sind entscheidend für die Genregulation, und das Wissen darüber ist die Grundlage für die Entwicklung von RNA-Medikamenten, darunter sieben Therapeutika für bestimmte Lebererkrankungen.

Die Verabreichung von RNA in anderen Organen als der Leber ist jedoch eine Herausforderung. Unserem Team ist es als erstes gelungen, bestimmte chemische Eigenschaften der RNA-Moleküle so zu verändern, dass sie in Gehirn, Muskel, Lunge und Auge gelangen. Dies ist ein Durchbruch auf dem Weg zu Therapien, die in Geweben außerhalb der Leber angewendet werden können.

Die Regulation der Genexpression im Gehirn kann man sich nun gezielt zunutze machen, um Krankheiten wie Chorea Huntington, ALS und Alzheimer zu behandeln. Chemisch synthetisierte siRNAs haben auch bei einmaliger Gabe inzwischen eine Wirkungsdauer von 6 bis 12 Monaten. Außerdem ermöglichen sie ein frühzeitiges Eingreifen: Bei der Huntington-Krankheit beispielsweise könnte durch eine Kombination verschiedener siRNAs der Ausbruch der Krankheit ganz verhindert werden.

(1) RNAi ist ein natürlicher Mechanismus der Genregulation, der in Zellen von Pflanzen, Tieren und Menschen vorkommt. RNAi kann dazu genutzt werden, die Produktion bestimmter Proteine gezielt zu unterdrücken und ermöglicht die Entwicklung von Therapien genetischer Erkrankungen.

(2) siRNA (small interfering RNA) sind sehr kurze, doppelsträngige RNA-Moleküle. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der RNA-Interferenz (RNAi)
 

Der Preis ist mit 2,5 Millionen Euro dotiert. Wofür werden Sie das Preisgeld nutzen? 

Ich bin sehr dankbar für diese Unterstützung. Wir werden uns darauf konzentrieren, mittels neuen synthetischen RNAs einen Prozess zu beeinflussen, der viele neurodegenerative Krankheiten wie Chorea Huntington auslöst und auch allgemein mit Alterungsprozessen in Verbindung gebracht wird. Bei diesen Erkrankungen finden sich Gene, in denen sich bestimmte kurze DNA-Sequenzen oft wiederholen und dadurch zu einer Vielzahl von Problemen führen („Somatic Repeat Expansions“). Derzeit können wir zwar verhindern, dass sich diese Sequenzen weiter verlängern, aber wir wollen noch einen Weg finden, die DNA-Wiederholungen sogar wieder auf ein normales Maß zu verkürzen. Wir wollen so Behandlungen entwickeln, die Krankheiten vorbeugen, noch bevor sie überhaupt entstehen. Der Weg dahin ist komplex und vielschichtig. Wir brauchen dafür innovative Technologien, ein tiefes Verständnis der zugrunde liegenden Biologie natürlicher Reparaturmechanismen der Zelle, und nicht zuletzt einen systematischen, iterativen Entwicklungsprozess. Für solche ambitionierten Projekte findet man für gewöhnlich nur schwer Fördermittel.
 

Wie sehen Sie die Zukunft der RNA-basierten Therapien im Hinblick auf bisher unheilbare Krankheiten?  

Das Potenzial RNA-basierter Therapien ist enorm. Verschiedene Klassen von RNA-Medikamenten können die Expression von Genen auf nahezu unbegrenzte Art und Weise beeinflussen. Besonders hervorzuheben sind dabei die siRNAs: Sie verfügen über zwei entscheidende Eigenschaften, die das Potenzial haben, die medizinische Behandlung grundlegend zu verändern.

Erstens sind siRNAs flexible Informationsträger: Sobald der chemische Bauplan für ein Zielgewebe optimiert und festgelegt ist, kann die Sequenz der siRNA leicht umprogrammiert werden, sodass jedes beliebige Gen ausgeschaltet werden kann. Diese Flexibilität erlaubt es, auch in komplexe Signalwege einzugreifen, an denen zum Beispiel mehrere Gene beteiligt sind, und die bei Fehlregulation Krankheiten verursachen. 

Zweitens sind siRNAs sehr robust und langlebig – gegenwärtig wird eine klinische Wirksamkeit von bis zu einem Jahr erreicht. Das kann die Behandlung patientenfreundlicher machen, die klinische Belastung reduzieren, eine präventive Gesundheitsversorgung fördern und zur Kostensenkung beitragen.


Vielen Dank für Ihre Zeit!